Orte, Zwischenräume und Gebäude. Ich widme mich ihnen – betrachte, höre, hinterfrage. Worüber diese Orte sprechen, inszeniere ich in performativen Führungen und Spaziergängen – Gruppenerlebnisse, in denen sich die Wahrnehmung eines Ortes verändert. Dieses künstlerische Vermittlungsformat vereint Wissenserweiterung und Sensibilisierung für den Raum.
Oft sieht man mich in Vorbereitung dieser Erzählungen etwas zu lange, etwas zu nah an Hauswänden stehen; verbogen auf Geländer klopfen oder abrupt die Möglichkeit von Geschwindigkeit testen. Die Mehrfachnutzung eines Ortes tritt zu Tage, indem ich Zeit dort verbringe. Viele Stimmen wollen gleichzeitig zu Wort kommen – ich sammle sie ein. Nutze historische Quellen und Bildarchive, um unterschiedliche Zustände des Ortes zu erspüren. Führe Interviews, analysiere den „Alltag“ der Gebäude und ihrer Umgebungen und nehme Sound- und Materialproben, um Architektur und Auffälligkeiten besser zu verstehen.
Anhand dieser Recherchen verwebe ich historische, autobiografische und fiktionale Geschichten so, dass der öffentliche Raum – in der Vorstellung der Betrachter*innen – verändert wird. Ein Umräumen findet statt. Wir überschreiben den Ort und seine Geschichte. Und: wir bewegen uns in ihr.
(Während des Zeichnens:) Das Besondere an der Tür war, sie bestand aus farbigem Glas und es war eine Landschaft abgebildet aus Bergen und an den Bergspitzen kratzten sich die Wolken entlang. Sicher gab es auch Niederschlag. Und am höchsten Punkt der Landschaft war ein Gotteshaus gebaut. Und am Fuße vereinzelt ein paar kleine Gebäude. Durch das Tal floss auch ein Fluss. Und über diesen führte eine Brücke. So. Und von links unten ragten Blätter ins Bild.
Alle Farben waren voneinander getrennt durch Metallstege. Und wenn dahinter jemand entlang lief, dann veränderte sich das Bild. Und ich war fasziniert. Und zwar so sehr, daß ich irgendwann dachte, ich möchte selbst diese Tür sein.
VOR DIE TÜR - Kunst im öffentlichen Raum
Stadtspaziergang ca. 140 min Meissen 2024
Der Kunstverein Meissen stellt erstmals Kunst im öffentlichen Raum aus. Kunst soll zugänglich werden. Henriette Aichinger führt performativ durch die Ausstellung und schafft damit Verbindungen zwischen den 7 künstlerischen Positionen und der Stadtkulisse Meissen. Die Erzählung thematisiert zudem die Begegnung mit dem Beruf des Künstlers. Im Laufe des Spaziergangs imitiert sie alle 7 Künstlerinnen in ihren Arbeitsräumen.
Ich arbeite ortsspezifisch. Das heißt, das zu Erzählende ergibt sich, aus dem, was existiert und vor Ort zu finden ist; und dem, was ich hinzutrage oder hervorhebe. Diese Orte sind temporär meine Erzähl-Räume. Sie bilden die Klammer für viele unterschiedliche Einzelarbeiten – Objekte, Zeichnungen, Sound-Stücke oder performative Aktionen. In der Kombination entstehen, dem Ort entsprechend, Installationen oder Arbeiten im öffentlichen Raum.
Das gemeinsame Erforschen und Erzählen, Innehalten und Losgehen vergrößert die Spannweite der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten. Erzählungen werden reicher an Details – das Bild irgendwann ganz klar und eingängig. Es ist nicht starr, sondern in Bewegung. Nicht nur durch kollektive Autor*innenschaft, sondern auch durch das Teilen von Erfahrungen und Zugängen in Workshops wird das Spektrum des Erzählens größer und gewinnt an Wirkung. Beiderseits.
Künstlerisches Arbeiten ist ein Prozess. Ein immer anwesender Begleiter. Kommt es an einer Stelle zu Vertiefungen – zum tieferen Graben – wird dieser Begleiter sehr präsent, manchmal sogar aufdringlich. Die Auseinandersetzung ist dann überall anwesend. Und um diesem Druck etwas entgegenzusetzen entstehen – meist unbemerkt – einzelne Exponate, die alles in sich tragen. Wie eine klare Antwort. Für einen kurzen Moment.
Sammlungen bringen Haufen hervor – Häufungen. Sie sind einerseits Methodik des Sortierens und andererseits Unterbringungsmöglichkeit. Etwas eines liegt sicher in etwas Anderem verborgen. Irgendetwas liegt immer obenauf. Und an ein und der selben Stelle werden viele Geschichten erzählt. Die Häufung von Gedanken auf Papier, von Bildern, von Publikationen und Momenten ist jedoch auch Objekt. Es verkörpert die Art der Sammlung. Spricht über einen Gedanken darin. Wie eine Fußnote am Tischrand. Eine, seit 2004, wachsende Notiz.